Bei der AHV, den Ergänzungsleistungen oder der Arbeitslosenversicherung ist alles klar: Die Höhe der Renten und dieVerfahren werden vom Gesetz festgelegt und sind deshalb für alle in der Schweiz gleich. Anders bei der Sozialhilfe: Sie liegt in der Kompetenz der Kantone. Entsprechend unterschiedlich sind die Regelungen.
Immerhin gibt es Richtlinien der Schweizerischen Konferenz der Sozialhilfe (Skos), die definieren, wie die Sozialhilfe berechnet wird. Es handelt sich zwar um Ansätze, die von einem privaten Fachverband entwickelt wurden. Trotzdem kommen sie meist zur Anwendung - wenn auch unterschiedlich. So stützt sich der Kantion Aargau laut dem Zürcher Rechtsanwalt Pierre Heusser auf veraltete Richtlinien und unterbietet diese gar noch um fünf Prozent. Und im Zürcher Kantonsrat wurde kürzlich entschieden, dass der Regierungsrat die Skos-Richtlinien überprüfen soll, um die Sozialhilfeansätze zu reduzieren.
Die Skos fordert seit über hundert Jahren ein Bundes-Rahmengesetz für Sozialhilfe, um solchen Unterschieden ein Ende zu machen. Die Sozialhilfe sei quasi eine subsidiäre Grundsicherung. «Es braucht einen gesetzlichen Rahmen auf Bundesebene, um mit den anderen Leistungssystemen verbindlich zusammenzuarbeiten und um einheitliche Parameter zur Existenzsicherung schaffen zu können.» Es soll künftig nicht mehr auf den einzelnen Kanton oder gar die einzelne Gemeinde ankommen, wie viel Sozialhilfe jemand erhält. Zudem erwartet die Skos von einem Rahmengesetz, dass damit Verfahrensvorschriften, Rechtsmittel und Sanktionen festgelegt und eine professionelle Organisation eingeführt werden.
Auf einheitliche Verfahrensvorschriften und eine professionelle Organisation pocht auch Anwalt Pierre Heusser. Vor allem kleinere Gemeinden mit Laienbehörden seien überfordert und würden entsprechend falsch entscheiden.
Kaum rechtliche Unterstützung
Heusser hat noch eine weitere Hoffnung: «Das Rahmengesetz soll sich zur Rechtsberatung für Sozialhilfeempfänger äussern.» Denn während im Arbeits- und Mietrecht kostenlose Rechtsberatung durch Gerichte und in der Invalidenversicherung finanzielle Mittel für Beratungsstellen vorgeschrieben sind, mangelt es im Sozialhilferecht an rechtlicher Unterstützung. Die kürzlich in Zürich eröffnete Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) ist die einzige auf Sozialhilferecht spezialisierte Stelle, die auch rechtliche Beratung und Unterstützung für den Gang durch die Instanzen bietet. Ausser der UFS nimmt sich in der Deutschschweiz nur die Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not Sozialhilfeempfängern mit Rechtsproblemen an.
Laut Heusser wäre mehr nötig: Sozialhilfeempfänger bekommen zwar problemlos unentgeltliche Rechtsverbeiständung (URB) in einem Zivilprozess. Anders sieht es im Sozialhilfeverfahren aus (plädoyer 1/09). Die Lehre stellt zwar fest, dass im Sozialhilfeverfahren URB im Allgemeinen zu gewähren sei. Denn die Voraussetzungen der notwendigen Vertretung seien gegeben: ungleich lange Spiesse gegenüber einer Behörde, schwerwiegender Eingriff und schwere Beeinträchtigung eines Grundrechts. Doch die Gerichtspraxis sieht das regelmässig anders. Oft wird angenommen, der Sozialhilfebezüger könne sich selbst wehren, so Heusser. Und kantonale Verwaltungsgerichte hätten diese Haltung mehrmals geschützt.
Problematisch ist für Heusser auch, dass den Beschwerden regelmässig die aufschiebende Wirkung entzogen wird und Sozialhilfeempfänger somit während des Verfahrens mit einer gekürzten oder völlig ohne Sozialhilfe auskommen müssen. Anders beispielsweise im IV-Verfahren. Dort springt die Sozialhilfe ein, bis über den IV-Anspruch entschieden ist. Auch da hofft Heusser auf Klärung durch das Bundesrahmengesetz.
Das Gesetz scheint näher als auch schon: Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) hat im Februar des vergangenen Jahres eine Motion für ein Koordinations- und Rahmengesetz analog zum ATSG verabschiedet. Im Nationalrat wurde sie im letzten September mit 107 gegen 53 Stimmen angenommen, vor allem mit Stimmen von SP und Grünen, CVP, GLP, EVP und FDP. Die SVP-Fraktion stimmte geschlossen dagegen, weitere Nein-Stimmen kamen aus der CVP und der BDP. Deren Argumentation: Die Sozialhilfe liegt in der Kompetenz der Kantone, es ist also nicht am Bund, zu legiferieren. Zudem wird befürchtet, dass ein solches Gesetz zu höheren Ausgaben führt. Sollten nämlich die Skos-Richtlinien für alle verbindlich werden, müssten einige Kantone tiefer in die Tasche greifen, hiess es in der Beratung im Parlament.
Bundesrat sieht «gewissen Harmonisierungsbedarf»
Auch der Bundesrat war gegen die Motion. Er argumentierte, es dürfe nicht in die Kompetenz der Kantone eingegriffen werden. Er schreibt in der Stellungnahme zur Motion, dass er trotzdem einen «gewissen Harmonisierungsbedarf» sehe. Deshalb möchte er zuerst prüfen, inwiefern die verfassungsmässige Kompetenzordnung eine Rahmengesetzgebung zulasse.
Der Bundesrat forderte den Ständerat auf, nicht eine Motion mit dem Auftrag zur Ausarbeitung eines Gesetzes zu überweisen, sondern den Vorstoss in einen Prüfungsauftrag umzuwandeln. Die SGK des Ständerats wird die Motion voraussichtlich im Mai behandeln, in den Ständerat soll sie in der Sommersession kommen.
Unterschiede in den Kantonen
236 133 Personen beziehen in der Schweiz Sozialhilfe. Das zeigen die jüngst veröffentlichten Zahlen des Bundesamts für Statistik, die auf dem Jahr 2011 beruhen.
Die Sozialhilfequote betrug damit im dritten Jahr in Folge 3 Prozent. Tendenziell sind die Quoten im Westen der Schweiz höher als im Osten. Landesweit an der Spitze liegt der Kanton Neuenburg mit knapp sieben Prozent. Auf der anderen Seite der Skala liegt der Kanton Nidwalden mit einer Quote von unter einem Prozent. «Beim interregionalen Vergleich der Sozialhilfequoten gilt es allerdings zu beachten, dass in den Kantonen Unterschiede bei den vorgelagerten bedarfsabhängigen Leistungen (Alimentenbevorschussungen, Eltern- und Mutterschaftsbeihilfen, Wohnbeihilfen etc.) bestehen», schreibt das Bundesamt für Statistik. Diese vorgelagerten Leistungen beeinflussten die Sozialhilfequote.
Gut 52 Prozent der Sozialhilfebezüger in Privathaushalten leben ausschliesslich von der Sozialfürsorge. 30 Prozent sind erwerbstätig und zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen.