Wer zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verurteilt worden ist, kann in sieben Schweizer Kantonen ein Gesuch zum Tragen einer elektronischen Fussfessel stellen - und seine Strafe statt im Gefängnis im Hausarrest absitzen. Am 28. April 1999 erteilte der Bundesrat den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Bern, Waadt, Genf und Tessin auf deren Gesuch hin die Bewilligung, die elektronische Überwachung versuchsweise als neue Form der Strafverbüssung einzusetzen. Später kam der Kanton Solothurn hinzu.
Am 4. Dezember 2009 verlängerte der Bundesrat die Dauer des Versuchs bis Ende 2015. In seinem am 30. Juni 2010 in die Vernehmlassung geschickten Vorentwurf zur Revision des Sanktionenrechts schlägt der Bundesrat Electronic Monitoring für die ganze Schweiz als Vollzugsform vor. Der Bundesrat will nun seine Vorschläge noch im ersten Quartal 2012 dem Parlament vorlegen.
Tiefe Kosten sprechen für den Hausarrest
Bislang ist der elektronisch überwachte Hausarrest in der Schweiz für Strafen von mindestens zwanzig Tagen bis höchstens zwölf Monaten sowie am Ende langer Strafen (für einen bis zwölf Monate) vorgesehen. Für einen elektronisch überwachten Strafvollzug im Hausarrest müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:
1. Der Verurteilte muss über eine dauerhafte Unterkunft und ein Telefon verfügen.
2. Er muss einer geregelten Arbeit (oder Ausbildung, Tätigkeit) nachgehen.
3. Die mit ihm in derselben Wohnung lebenden Personen müssen zustimmen.
4. Er muss den für ihn ausgearbeiteten Vollzugsplan akzeptieren.
Ausserdem muss die Betreuung der Hausarrest-Kandidaten durch die zuständigen Kantone gewährleistet sein. Der Aufwand ist also nicht unerheblich.
Am 12. Oktober 2011 erschien eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Vernehmlassung. Alle sieben in den Modellversuch eingebundenen Kantone beurteilen die elektronische Überwachung positiv. Mit Grund: Unter dem Strich sind die Kosten des überwachten Hausarrests signifikant geringer als der Aufwand aller anderen Arten des Strafvollzugs.
Der Kanton Bern etwa bezifferte 2009 die Kosten auf rund 47 Franken pro Vollzugstag. Der Vollzug in Form gemeinnütziger Arbeit kam auf 76 Franken pro Vollzugstag zu stehen. Halbgefangenschaft kostete 123 Franken, der Normalvollzug gar 330 Franken pro Tag. Ähnlich sieht es in Basel-Stadt aus. Ein Vollzugstag im Hausarrest schlägt dort mit rund 50 Franken zu Buche, während ein Tag gemeinnütziger Arbeit 76 Franken kostet. Den Normalvollzug beziffert das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement mit 200 Franken. Vergleichbar günstig ist der Strafvollzug per Hausarrest in den übrigen am Modellversuch beteiligten Kantonen.
Hausarrest als Ersatz für Bussen und Geldstrafen
Der überwachte Hausarrest schien überflüssig zu werden, weil das seit Anfang 2011 geltende neue Strafrecht die kurzen Freiheitsstrafen weitgehend in Geldstrafen umwandelt. «Wir konnten im Evaluationsbericht an den Bund jedoch nachweisen, dass der Hausarrest durchaus noch notwendig ist», sagt Marianne Isenschmid, Co-Leiterin der Abteilung Bewährungshilfe und alternativer Strafvollzug des Berner Amtes für Freiheitsentzug und Betreuung. «Wir haben weiterhin kurze Freiheitsstrafen und es gehen immer noch Gesuche für die Anwendung des Hausarrests bei uns ein.» Lediglich die Klientel habe sich geändert. Marianne Isenschmid: «Früher hatten wir auch Verurteilte, die zuvor unbelastet waren. Heute haben wir viele Leute, die ihre Bussen und Geldstrafen nicht bezahlen können, weil sie sich ohnehin schon am Existenzminimum bewegen.»
In der Villa angenehmer als in der Kleinwohnung
Einige Kritiker bemängeln am Strafvollzug mit elektronischen Fussfesseln den fehlenden Strafcharakter. Klar ist, dass soziale Unterschiede beim Hausarrest eine erhebliche Rolle spielen können. Wer in einer Villa wohnt, ist beim Hausarrest mit der elektronischen Fussfessel privilegiert - verglichen mit einer Person, die in einer winzigen Wohnung lebt. Da mag die Gleichbehandlung im Vollzug tatsächlich nicht gegeben sein.
Andererseits stellt eine vom niederländischen Justizministerium veröffentlichte Studie beim Strafvollzug mit elektronischer Überwachung fest, dass die Verurteilten die Fussfessel als unangenehme Art der Bestrafung empfanden. Grund dafür ist der strikte Zeitplan, der den Verurteilten auferlegt wird. Ausser Haus dürfen sie sich nur aufhalten, während sie bei der Arbeit sind. Dies erfordert ein grosses Mass an Selbstdisziplin. Das weiss auch Alain Joset, der in Basel und Liestal als Anwalt tätig ist. Joset: «Mein Eindruck ist, dass der elektronisch überwachte Hausarrest bei vielen Verurteilten anfänglich unterschätzt wird. Man muss bedenken, dass Aktivitäten im sozialen Nahraum, wie abends auf ein Bier mit Arbeitskollegen zu gehen, Sport oder andere Hobbys ausser Haus zu treiben, nicht möglich sind.»
Wer den Hausarrest in seinem Umfeld verheimlichen will, muss also viele Ausreden erfinden. Dies gilt auch im Kontakt mit dem Arbeitgeber, falls der von der Strafe nichts wissen soll. Attraktiv sei das Electronic Monitoring hingegen für Personen, die eine teilbedingte Strafe verbüssen müssen, so Joset. Wenn der unbedingte Teil der Strafe ein Jahr nicht übersteigt, kann er per Hausarrest abgesessen werden.
Kein Mittel gegen überfüllte Gefängnisse
Im Zusammenhang mit der elektronischen Fussfessel wurde häufig die Hoffnung geäussert, diese neue Art des Strafvollzugs helfe, die überfüllten Gefängnisse zu leeren. Das ist aber nicht der Fall - und es war zumindest in der Schweiz auch nie geplant. Schon die Begrenzung der Strafen, die für den Hausarrest in Frage kommen - im Modellversuch nicht länger als zwölf Monate - begrenzt die Auswahl der Verurteilten. Täter, die für schwerere Delikte verurteilt werden, wandern weiterhin ausnahmslos ins Gefängnis. Und in einem Vorentwurf zur Änderung des Sanktionsrechts unter Artikel 79b Absatz 1 StGB schlägt der Bundesrat vor, den Strafvollzug per elektronischer Überwachung für Strafen bis maximal sechs Monate einzuführen.
Diese zeitliche Begrenzung ist für viele Fachleute zu knapp. Marianne Isenschmid: «Im Kanton Bern wünschen wir uns eine Palette, die Strafen bis zu zwölf Monaten abdeckt.» Eine deliktbezogene Arbeit mit dem Verurteilten sei bei Strafen bis zwölf Monate besser möglich. Die Erfahrungen zeigen, dass der Hausarrest gerade bei Verurteilten mit multiplen Problemen am nachhaltigsten wirke - weil die Probleme im Lebensumfeld der Betroffenen direkt angegangen und damit die Rückfallrisiken gesenkt werden könnten. «Das erfordert genügend Zeit», so Isenschmid.
Rückfallquoten geringer als bei gemeinnütziger Arbeit
Genauso sieht das auch Dominik Lehner, Leiter des Strafvollzugs im Kanton Basel-Stadt: «Im Vorentwurf zum neuen Sanktionsrecht steht eine Maximalstrafdauer von sechs Monaten. Ich wäre damit sehr unglücklich. In der Zusammenfassung zur Vernehmlassung vom Oktober stand freilich wieder eine Frist von zwölf Monaten. Rückfragen beim Bund ergaben, dass diese Frage noch offen sei, dass also auch die längere Frist noch zur Diskussion steht.» Was das Rückfallrisiko anbetrifft, schneidet der Strafvollzug mit Hilfe der elektronischen Überwachung gut ab: «Die Resultate sind positiv. Für gemeinnützige Arbeit hingegen sind sie eher enttäuschend», sagt Martin Killias, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich.
In einer im vergangenen August im «British Journal of Criminology» veröffentlichten Studie untersuchte Killias die Rückfallquote bei Strafvollzug per Hausarrest und durch gemeinnützige Arbeit. Die Quote beim Hausarrest bezifferte der Kriminologe auf 23 Prozent, bei gemeinnütziger Arbeit auf 31 Prozent.
Einsatz bei Rayonverboten
Elektronische Überwachung von Personen mit Hilfe von Fussfesseln können nicht nur im Strafvollzug sinnvoll sein. Denkbar ist auch eine Überwachung, die helfen könnte, Straftaten zu verhindern. Mit der Kontrolle gewalttätiger Männer könnten zum Beispiel deren Partnerinnen geschützt werden (siehe Kasten Seite 20). «Rayonverbote werden in der Schweiz jetzt schon verhängt», sagt Marianne Isenschmid. «Aber ohne Überwachung mit GPS-Systemen sind sie praktisch nicht durchzusetzen.»
Ein Täter-Opfer-Programm mit einem gut funktionierenden GPS-System existiert in Europa bereits in Spanien, wo knapp 10 000 Personen elektronisch kontrolliert werden. Dort überwachen die Mitarbeiter einer Zentrale die Alarmmeldungen und leiten sie an lokale Polizeistellen weiter. Nun wollen die französischen Behörden dem Beispiel ihrer Nachbarn im Süden folgen.
In der Schweiz werden GPS-Geräte im Baselbiet getestet. «Wir suchen keineswegs Einsatzgebiete für diese GPS-Geräte, bloss weil es sie gibt», sagt Gerhard Mann, Leiter Bewilligungen, Freiheitsentzug, Soziales in der Sicherheitsdirektion Basel-Landschaft. «Es ist umgekehrt so, dass in gewissen Fällen nur sie eine Lösung bieten - eben zum Beispiel im Opferschutz. In einigen Fällen kann das Gerät aber auch als Mittel im Lauf einer Resozialisierung dienen. Man kann damit einen Ausgang überwachen, den man ohne das Gerät vielleicht nicht bewilligt hätte.»
Im Baselbiet wird für die GPS-Überwachung eine Fussfessel eingesetzt, die mit dem normalen Electric-Monitoring-Gerät identisch ist. Einziger Unterschied: Der Überwachte trägt zusätzlich ein GPS-Gerät bei sich. Urs Suter von der Sicherheitsdirektion Basel-Landschaft kann damit auf seinem Laptop jederzeit kontrollieren, an welchem Ort sich die überwachte Person aktuell aufhält. Und er kann auch kontrollieren, wo sie in den Stunden zuvor war.
Spanien macht es vor
Elektronische Überwachung mit GPS-unterstützten Fussfesseln existiert in den USA schon seit Ende der 1990er-Jahre. In Europa liegt Spanien beim Einsatz dieser Technik vorn. In Madrid wurde eine grosse Zentrale eingerichtet, in der die Sender der Fussfesseln überwacht werden. Dort sind nebst Sicherheitsleuten auch Psychologen und Sozialarbeiter beschäftigt. Die Zentrale meldet der Polizei, wenn sich ein überwachter Gewalttäter unerlaubterweise einem Opfer nähert. Die Mitarbeiter sprechen aber auch mit potenziellen Opfern und beraten sie.
Verschiedene Typen von Fussfesseln
Technisch basiert die elektronische Überwachung auf zwei verschiedenen Prinzipien: Es gibt Fussfesseln, die aus Funkgeräten bestehen. Diese Geräte senden Signale an einen Empfänger, der im Haus oder in der Wohnung des Verurteilten installiert wird. Entfernt sich der Träger der Fussfessel unerlaubt aus dem Bereich des Empfängers, schlägt dieser in einer Überwachungszentrale Alarm.
Anders funktionieren Fussfesseln mit GPS-Positionssystem per Satellit. Das GPS-Gerät bestimmt den Standort der Fussfessel und übermittelt ihn laufend an eine Überwachungszentrale. GPS-Geräte haben den Vorteil, dass der Standort des Überwachten jederzeit bekannt ist.