Strafprozess: Reihenfolge der Zeugenaussagen beeinflusst Richterspruch
Kriminologen der Universität Lausanne fordern eine Änderung der eidgenössischen Strafprozessordnung (E-StPO). Dies noch bevor diese voraussichtlich am 1. Januar 2011 überhaupt in Kraft tritt. Die Wissenschafter, darunter der Vorsteher des Instituts André Kuhn, verschickten 2007 an 1831 Schweizer Strafrichter einen Fragebogen und eine DVD mit einem fiktiven Strafprozess über ein Fahrerfluchtdelikt. Der Film enthielt unter anderem die Aussagen von drei Zeugen. Ein Sachverständiger, der den Angeklagten belastet, und zwei Zeugen, darunter ein Augenzeuge, die zu Gunsten des Angeklagten aussagten. Die Statements wurden in sechs verschiedene Reihenfolgen gesetzt und an jeweils gleich viele Richter versandt. Das Ziel der Forscher: Sie wollten herausfinden, ob die Richter sich in ihrem Urteil von der Reihenfolge der Zeugenaussagen beeinflussen lassen.
Das Resultat: Zuletzt wahrgenommene Aussagen wiegen bei der Urteilsfindung zwar schwerer als die anderen, aber es kommt auch auf die Art der Aussage an. So habe der Zeitpunkt des Statements des Sachverständigen «keinen Einfluss auf das Urteil» gezeigt. Anders hingegen beim entlastenden Augenzeugen. Je später dieser seine Aussage macht, «desto mehr neigen die Richter dazu, den Angeklagten freizusprechen». Die Forscher schreiben von einem Rezenzeffekt.
Obwohl nur 208 oder 11,3 Prozent der Strafrichter den Frage-bogen retournierten, sei die «kantonale und regionale Verteilung der Antworten» als «repräsentativ anzusehen», so die Wissenschafter. Sie verlangen nun gemäss dem Grundsatz «in dubio pro reo», dass Angeklagte die Reihenfolge der Zeugenaussagen bestimmen können. Damit würden die Grundrechte der Verteidigung gestärkt.
Weitere Informationen: www. unil.ch/esc/page19064.html
Liberaler Umgang mit Handelsregisterdaten
Laut dem Bundesverwaltungsgericht besteht ein generelles öffentliches Interesse an einer möglichst leichten Zugänglichkeit der Handelsregisterdaten (A-4086/2007 vom 26. Februar 2008). Private Datensammler wie www.moneyhouse.ch von der Firma Itonex AGtrügen wesentlich dazu bei, dass der Geschäftsverkehr informell erleichtert wird. Ein liberales Wirtschaftssystem verlange dies. So könnten die Daten beliebig verbreitet werden, reagierte Hanspeter Thür, eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter etwas enttäuscht, nachdem das Bundesverwaltungsgericht seine Klage abgewiesen hatte.
Er hatte beantragt, dass die Weitergabe von Personendaten natürlicher Personen durch moneyhouse.ch zeitlich zu limitieren sei. Das Gericht besteht auf einer zeitlich unbefristeten Veröffentlichung.
Geändert hat sich inzwischen nur , dass man sich bei der Suche von Personendaten auf www.moneyhouse.ch gratis registrieren muss.
Internet-Verzeichnis: Anwälte ungefragt registriert – saftige Jahresgebühr in Rechnung gestellt
Nur die wenigsten Anwälte können sich über mangelnde Arbeit beklagen. Und dennoch gibt es immer wieder Unternehmen, die Anwälten Geld für Eigenwerbung entlocken wollen (plädoyer 5/07).
Aktuelles Beispiel: die Firma HIM Swiss-Internet AG mit Sitz in Ins, Kanton Bern. Die Firma besitzt laut Mitinhaber Pierre Hauser «einige tausend Domains», darunter www.die-anwaelte.ch und www. die-anwaltsbueros.ch.
Swiss-Internet sucht vorwiegend im Internet Informationen über An- wälte zusammen und erstellt ein eigenes Verzeichnis. Die ungefragt Erfassten erhalten eine E-Mail, dass sie zwei Monate lang gratis verzeichnet seien. Danach folgt per Post eine Abo-Rechnung über 390 Franken. Wie viele der «einigen hundert»aktuell erfassten Anwälte den Betrag überwiesen haben, will Hauser nicht sagen. Von plädoyer stichprobenweise angefragte Anwälte zeigten sich erstaunt. Weder wussten sie, dass sie verzeichnet sind, noch haben sie bezahlt. Für Hauser kein Problem. Nach einem halben Jahr würden sie nochmals erinnert. So lange bleibe auch der Gratiseintrag bestehen, «ausser jemand verlange die sofortige Löschung».
Swiss-Internet wird seine Geschäfte wohl bald überdenken müssen: Artikel 3a Buchstabe b des Entwurfs des revidierten Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb schreibt vor, dass für Registereinträge ohne vorgängige Auftragserteilung keine Rechnungen mehr verschickt werden dürfen.
Eidgenössische Zivilprozessordnung:Rechtsuchende haben das Nachsehen
Die eidgenössische Zivilprozessordnung (E-ZPO) ist unter Dach und Fach. Insgesamt fällt die Vorlage sehr klägerfeindlich aus. Das zeigt sich vor allem bei der Regelung derProzesskosten. Gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Prozessführung ist zudem nur das unvollständige Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Auf das Sühnverfahren kann nur bei Streitwerten über 100000 Franken verzichtet werden, auch wenn keine Aussichten auf eine gütliche Einigung bestehen.
Problematische Folgen für die sozial schwächere Partei wird möglicherweise das neue Institut der direkt vollstreckbaren öffentlichen Urkunde haben.
Einer der wenigen Lichtblicke: Im letzten Moment hat der Nationalrat die Einführung einer exzessiven Eventualmaxime verhindert. Neue Tatsachen und Beweismittel können nun auch noch an der Hauptverhandlung eingebracht werden, wenn es keinen zweiten Schriftenwechsel und keine Instruktionsverhandlung gegeben hat. Die Einführung der E-ZPO ist auf Anfang 2011 geplant.
Lehrgang ”Judikative“ gestartet
Ende Januar 2009 startete die Schweizerische Richterakademie ihren ersten Zertifikatslehrgang. Er vermittelt innert zweier Jahre in sechs Modulen zu je drei Tagen Grundlagen der richter-lichen Tätigkeit. Nach erfolgreicher Abschlussarbeit winkt das Certificate of Advanced Studies (CAS) «Judikative» (zehn ECTS-Kreditpunkte). Laut Paul Richli, Professor für öffentliches Recht, Universität Luzern und Lehrgangsverantwortlichen besuchen 32 Teilnehmer den deutschen Kurs in Luzern und 18 den französischen in Neuchâtel. Ob später auch ein Master-of-Advanced-Studies-Lehrgang (MAS) durchgeführt wird, sei noch nicht entschieden.