Das Staatshaftungsrecht regelt die Haftung des Staates im Falle von Schädigungen Dritter durch die Ausübung staatlicher Tätigkeit. Dabei wird unterschieden zwischen der ausschliesslichen Staatshaftung (gegenüber dem Geschädigten haftet alleine der Staat) und der ausschliesslichen Beamtenhaftung (gegenüber den Geschädigten haftet alleine der Beamte). Bund und Kantone kennen das System der ausschliesslichen Staatshaftung mit Regressmöglichkeiten auf die Beamten.[1]
Das öffentliche Haftungsrecht der Schweiz ist vielfältig und unübersichtlich. Neben dem Bund hat jeder Kanton ein eigenes Haftungsrecht. Komplex ist auch das Nebeneinander von privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Haftpflichtrecht. Dazu kommen Abgrenzungsfragen zwischen amtlicher Verrichtung und gewerblicher Tätigkeit, dies in der Praxis vor allem bei der Haftung der Kantone, Gemeinden und öffentlichen Körperschaften. Zusätzliche Probleme bringen Auslagerung und Privatisierung staatlichen Handelns und die Frage, ob in der Folge Staatshaftungsrecht oder privates Haftpflichtrecht zur Anwendung kommt?
Die juristischen Stolpersteine sind so vielfältig, dass man zu glauben geneigt ist, der Staat habe sie absichtlich gelegt, um sich vor Haftungsklagen abzuschirmen.[2]
Die nachfolgenden Ausführungen sind ein Wegweiser durch den Dschungel des Staatshaftungsrechts.[3] Auf beispielhafte Gerichtsurteile wird in den Fussnoten hingewiesen, ohne diese weiter zu kommentieren.
1 Staatshaftung des Bundes
Bundesverfassung und Verantwortlichkeitsgesetz
Art. 146 BV bestimmt, dass der Bund für Schäden haftet, die seine Organe in Ausübung amtlicher Tätigkeiten widerrechtlich verursachen. Auf diesem Artikel der Bundesverfassung basiert das Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 (Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes und seiner Behördenmitglieder und Beamten, VG, SR 170.32,Verordnung SR 170.321). Das Gesetz regelt die strafrechtliche (Art. 13 VG), die disziplinarische (Art. 17 VG) und, was vorliegend interessiert, die vermögensrechtliche (Art. 3 ff. VG) Verantwortlichkeit des Bundes.
Sondererlasse
Art. 3 Abs. 2 VG behält ausdrücklich besondere Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse vor. Diese Sondernormen sind ausserordentlich zahlreich. Nur wenige seien beispielhaft erwähnt:[4]
- Haftung als Halter von Motorfahrzeugen, Art. 73 Strassenverkehrsgesetz (SVG)
- Haftung der Post, Art. 11 Abs. 2 lit. a Postgesetz
- Haftung von Eisenbahn- und anderen Transportbetrieben, Art. 1 Bundesgesetz über die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungen und der Schweizerischen Post (EHG)
- Haftung für Luftfahrtsunternehmen, Art. 64 Luftfahrtgesetz (LFG).
Vorrang gesetzlicher Entschädigungspflichten/subsidiäre Staatshaftung
Es gibt auch Gesetze, die eine Entschädigungspflicht des Bundes vorsehen, welche der Staatshaftung vorgehen. Der Staatshaftungsanspruch wird in diesem Fall subsidiär.[5]
Als Beispiele seien erwähnt:
- Entschädigung für Erwerbsausfälle im Zusammenhang mit Tierseuchen ( Art. 32 ff. Tierseuchengesetz TSG)
- Schäden aus staatlich vorgeschriebenen oder aus empfohlenen Impfungen (Art. 23 Abs. 3 Epidemiengesetz EpG).
Der Bund als Subjekt des Zivilrechts
Der Bund (und dementsprechend auch die Kantone) kann auch Subjekt des Zivilrechts sein und den zivilrechtlichen Haftungsbestimmungen unterliegen. Die entsprechende Bestimmung findet sich in Art. 11 VG. Soweit der Bund als Subjekt des Zivilrechts auftritt, haftet er auch nach zivilrechtlichen Bestimmungen. Die Schwierigkeit in diesem Zusammenhang ist die Abgrenzung zwischen amtlicher und gewerblicher Tätigkeit. Dies trifft vorrangig bei der Haftung der Kantone zu, da der Bund eher selten gewerblich auftritt.
Kausalhaftungen des Zivilrechts
Verschiedene Kausalhaftungen des Zivilrechts gelten auch für den Bund unabhängig davon, ob er öffentlich- oder privatrechtlich tätig ist. Dies gilt für die Werkeigentümer-, die Grundeigentümer- und die Tierhalterhaftung.
Bei der Grundeigentümerhaftung sind gewisse Abweichungen zur Haftung des privaten Grundeigentümers zu beachten.[6] Immissionen öffentlicher Werke müssen geduldet werden. Allenfalls kann der Abwehranspruch gegen Entschädigung enteignet werden (Art. 5 Entschädigungsgesetz).
Abgrenzung Staatshaftung Bund und Kantone
Alle Kantone haben ihre eigenen Haftungsgesetze. Die Abgrenzung, ob das Staatshaftungsrecht des Bundes oder eines Kantons zur Anwendung kommt, ist nicht immer einfach. Für die Anwendung von Bundesrecht oder kantonalem Recht ist massgebend, in welchen Aufgabenbereich die Handlung fällt, durch welche der Schaden verursacht wurde. Diese Regel gilt auch, wo dem Kanton der ordentliche Vollzug von Bundesrecht obliegt. Hier kommt kantonales Haftungsrecht zur Anwendung. Allerdings enthält das von den Kantonen zu vollziehende Bundesrecht häufig eigene Haftungsbestimmungen, die dabei zu beachten sind. Als Beispiel kann auf Art. 5 ff. Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) verwiesen werden (Haftung für Betreibungs- und Konkursbeamte).
Erfüllt ein Kanton oder eine Gemeinde dagegen im Auftrag des Bundes eine Aufgabe, die nicht in den Bereich des ordentlichen kantonalen Gesetzesvollzugs fällt (zum Beispiel Betreibung eines Flughafens gestützt auf eine Konzession des Bundes), richtet sich die Haftung vollständig nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes.[7]
1.1 Schädigende Person und Handlung
AusschliesslicheStaatshaftung
Der Bund haftet für den Schaden ausschliesslich unter Ausschluss der externen Haftung des Beamten (Art. 3 Abs. 3 VG). Ein Verschulden des Beamten ist nicht erforderlich. Der schadenverursachende Beamte muss auch nicht identifiziert werden. Einen Entlastungsbeweis analog zu Art. 55 OR gibt es nicht. Der Ausschluss der externen Beamtenhaftung gilt auch, wenn der Bund als Subjekt des Zivilrechts haftet (Art. 11 Abs. 2 VG).
Dies kann zu stossenden Ergebnissen führen, wenn dem Bund der Entlastungsbeweis gelingt und auf den schuldigen Beamten nicht gegriffen werden kann (Fall Brandstiftung Telefonzentrale Zürich-Hottingen).[8]
Schädigende Person
Der Bund haftet für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung einer amtlichen Tätigkeit einem Dritten widerrechtlich zufügt (Art. 3 Abs. 1 VG). Der Begriff des Beamten ist weit gefasst. Alle Personen in einem öffentlichen oder privaten Anstellungsverhältnis mit dem Bund fallen darunter (Art. 1 Abs. 1 lit. e VG). Es ist nicht einmal ein Anstellungsverhältnis der schädigenden Person beim Bund notwendig. Es genügt, wenn die schadenverursachende Person unmittelbar mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraut ist (zum Beispiel Mitglieder ausserparlamentarischer Kommissionen, siehe Art. 1 Abs. 1 lit. f VG). Besondere Bestimmungen gelten für Schädigungen durch Magistratspersonen (Mitglieder des Bundesrates, des Bundesgerichts, siehe dazu Art. 2 Abs. 2 VG und insbesondere die Verfahrensvorschriften mit Klage ans Bundesgericht).
Ist eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut, ist die schädigende Person (Organ oder Angestellter dieser Organisation) nur mittelbar mit diesen Aufgaben betraut. In diesem Fall kommt Art. 19 VG zur Anwendung. Danach haftet primär nicht der Bund, sondern die beauftragte Organisation, und zwar nach dem öffentlichen Haftungsrecht. Der Bund haftet nur für einen allfällig ungedeckten Betrag.[9]
Schädigende Tätigkeit
Als schädigende Tätigkeit kommt ein Handeln oder eine Unterlassung (bei Garantenstellung) in Frage. In der Regel handelt es sich dabei um unerwünschte Auswirkungen staatlichen Handelns. Eine Schädigung kann aber auch durch Rechtsakte verursacht werden, wobei die Haftung hier stark eingeschränkt ist (grobe Fehlleistung). Eine Haftung des Staates für gesetzgeberische Untätigkeit gibt es nicht.[10]
Amtliche Tätigkeit
Die Schädigung muss in Ausübung der amtlichen Tätigkeit erfolgt sein, damit eine Staatshaftung vorliegt. Eine Schädigung bei Gelegenheit der Ausübung dienstlicher Tätigkeit führt nicht zur Staatshaftung. Es muss ein funktionaler Zusammenhang zwischen der dienstlichen Aufgabe und der Schädigung vorliegen. Dieser Zusammenhang liegt zum Beispiel nicht vor, wenn ein Zöllner bei einer Zollkontrolle ein Gepäckstück stiehlt oder ein Altersheimleiter eine Insassin betrügt. Diese Praxis wird in der Lehre stark kritisiert, wurde aber erst jüngst wieder bestätigt.[11]
Amtliche undgewerbliche Tätigkeit
Nur die Schädigung aufgrund amtlicher Tätigkeit löst eine Staatshaftung aus. Zu unterscheiden davon sind die gewerblichen Tätigkeiten des Staates, wo sich die Haftung nach dem Obligationenrecht richtet. Die Kantone sind bei der Ausübung gewerblicher Tätigkeit an das Obligationenrecht gebunden (Art. 61 OR). Die Unterscheidung zwischen amtlicher und gewerblicher Tätigkeit kann schwierig sein. Gewerblich sind Tätigkeiten, die nicht als unausweichliche Staatsaufgaben bezeichnet werden können.[12] So wurde zum Beispiel der Betrieb eines Schwimmbads als gewerbliche Tätigkeit angesehen. Die ärztliche Tätigkeit (auch dieprivatärztliche) in einem öffentlichen Spital ist dagegen eine amtlicheTätigkeit.[13]
1.2 Widerrechtlichkeit
Der Begriff der Widerrechtlichkeit im Staatshaftungsrecht ist identisch mit der privatrechtlichen Definition. Die Widerrechtlichkeit umfasst die Verletzung von absoluten Rechtsgütern (Erfolgsunrecht) und den Verstoss gegen eine Norm bei Vermögensschädigungen (Handlungs-unrecht).
Bei gewissen Sachverhalten muss neben der schädigenden Rechtsgutverletzung für die Haftbarkeit des Staates auch noch eine Ordnungswidrigkeit hinzu kommen. Daraus ergibt sich, dass für die Haftung für ärztliche Behandlung an einem öffentlichen Spital (trotz Kausalhaftung) eine Sorgfaltspflichtverletzung vorausgesetzt ist, die im Rahmen der Widerrechtlichkeit vom Patienten bewiesen werden muss.
Qualifizierte Widerrechtlichkeit
In einzelnen Bereichen der Staatshaftung ist eine qualifizierte Widerrechtlichkeit notwendig. Dies bei nicht rechtskräftigen Rechtsakten, wo eine wesentliche Amtspflichtverletzung vorliegen muss. Dasselbe gilt im Rahmen der staatlichen Aufsicht, wo eine eindeutige Beanstandung des behördlichen Vorgehens Voraussetzung für die Widerrechtlichkeit ist. In diesen Fällen nähert sich die Kausalhaftung (wie bei der medizinischen Haftung) der Verschuldenshaftung an.[14]
Beseitigung der Widerrechtlichkeit
In bestimmten Konstellationen kann die Widerrechtlichkeit beseitigt werden oder fällt dahin. Nach Art. 12 VG trifft dies zu für formell rechtskräftige Verfügungen, Entscheide und Urteile. Zu beachten sind ferner die Rechtfertigungsgründe, bei denen ein Vorliegen der Widerrechtlichkeit entfällt. Darunter fällt in erster Linie die rechtmässige Ausübung hoheitlicher Gewalt. Die hoheitliche Gewalt muss allerdings ordnungsgemäss und verhältnismässig sein.
Eine Haftung für amtspflichtgemässe Schädigung kennt das VG nicht. Dies kann zu stossenden Ergebnissen führen (unschuldige Opfer von Polizeieinsätzen). Eine Haftung in solchen Fällen muss jedoch gesetzlich ausdrücklichvorgesehen sein (zum Beispiel Entschädigung für entstandene Untersuchungshaft). Einzelne Kantone sehen für diese Fälle eine Billigkeitshaftung vor (siehe zum Beispiel § 13 Haftungsgesetz Kanton Zürich).
Ein letzter Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung des Geschädigten. Dieser Umstand ist vor allem von Bedeutung bei medizinischen Eingriffen. Diese sind nur rechtswidrig, wenn sie nicht durch die Einwilligung des Patienten abgedeckt sind, oder stets rechtswidrig, wenn die Einwilligung nicht vorliegt (mangelnde Aufklärung).[15]
1.3 Kausalzusammenhang
Hinsichtlich des Kausalzusammenhangs besteht kein Unterschied zum Privatrecht. Der Kausalzusammenhang muss auch im Staatshaftungsrecht erstens natürlich und zweitens adäquat sein.
Unterbrochen wird der Kausalzusammenhang wie im Zivilrecht durch grobes Verschulden oder Drittverschulden. Nicht verwechselt werden darf der adäquate Kausalzusammenhang mit dem funktionalen Kausalzusammenhang. Der funktionale Kausalzusammenhang bezieht sich auf das Verhältnis zwischen schädigender Handlung und amtlicher Tätigkeit und nicht auf die schädigende Handlung und den Schaden.
1.4 Verschulden unabhängig vom Fehlverhalten
Die Staatshaftung des Bundes (wie auch der meisten Kantone) ist eine Kausalhaftung und vom Verschulden des schädigenden Beamten unabhängig. Einen Entlastungsbeweis (analog zu Art. 55 Abs. 1 OR) gibt es nicht. In wesentlichen Bereichen (zum Beispiel Haftung öffentlicher Spitäler) wird das Verschulden allerdings durch die Hintertür der Widerrechtlichkeit (Sorgfaltspflichtverletzung als Voraussetzung der Widerrechtlichkeit) wieder eingeführt, so dass hier praktisch eine Verschuldenshaftung vorliegt. Bei der Bemessung der Schadenersatzleistung kann sich das Verschulden allerdings auch im Staatshaftungsrecht auswirken.
Genugtuung
Im Gegensatz zum Schadenersatz ist eine Genugtuung nur bei Verschulden des Beamten geschuldet (Art. 6 VG).
Sonderfälle
In gewissen Spezialbereichen besteht nach wie vor eine Verschuldenshaftung des Staates. Zum Beispiel:
- Vormünder und Vormundschaftsbehörde (Art. 426 ZGB)
- Handelsregisterführer und deren Aufsichtsbehörden (Art. 928 OR)
1.5 Schadenersatz und Genugtuung
Die Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes sind identisch mit den Bestimmungen des Obligationenrechts. Es kann darauf verwiesen werden. Zu beachten gibt es vereinzelte betragsmässige Haftungsbeschränkungen in Spezialgesetzen (zum Beispiel Art. 12 Transportverordnung, SR 742.401, bei Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck).
1.6 Verfahren und Rechtsschutz
Beamte und Magistratspersonen
Zu unterscheiden ist das Verfahren bei Schädigung durch Beamte oder durch Magistratspersonen. Bei Schädigung durch Magistratspersonen gilt ein ausserordentliches Verfahren. Hier findet ein Vorverfahren beim Bundesrat statt, und nachfolgend ist die Klage beim Bundesgericht zu erheben (Art. 20 Abs. 3 VG und Art. 120 Abs. 1 lit. c Bundesgerichtsgesetz BGG).
Das Verfahren bei Schädigung durch Beamte wird als ordentliches Verfahren bezeichnet. Wenn sich die Haftung nach dem privaten Haftpflichtrecht richtet, ist nicht das Verfahren nach VG, sondern das Verfahren nach Zivilprozess massgebend.
Einreichung des Begehrens
Im Rahmen des ordentlichen Entschädigungsverfahrens hat der Geschädigte sein Begehren beim Eidgenössischen Finanzdepartement einzureichen (Art. 20 VG). Der Anspruch muss innert einem Jahr seit Kenntnis des Schadens, spätestens zehn Jahre nach der schädigenden Handlung eingereicht werden.
Das Finanzdepartement prüft den Anspruch innert drei Monaten. Bei Ablehnung ist eine Verfügung zu erlassen, gegen welche die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegeben ist, und zwar innert dreissig Tagen (Art. 10 VG und Art. 31Verwaltungsgerichtsgesetz VGG). Gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts gibt es ab einem Streitwert von 30000 Franken oder bei einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht (Art. 85 BGG).
Verwirkungsfrist
Bei der Frist zur Einreichung des Entschädigungsbegehrens handelt es sich um eine Verwirkungsfrist. Die strafrechtlichen Verjährungsfristen bewirken keine Verlängerung. Die Verwirkungsfrist kann auch nicht unterbrochen werden. Zu Lasten des Bundes wird sie allerdings nicht von Amtes wegen, sondern nur auf Einrede hin berücksichtigt.[16]
2 Haftung ausserhalb der Bundesverwaltung
Zahlreiche öffentlich-rechtliche Aufgaben des Bundes werden nicht von einer Amtsstelle wahrgenommen, sondern von einer Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung. Im Zuge der Dezentralisierung und Privatisierung staatlicher Aufgaben wächst die Bedeutung dieser Organisationen ausserhalb der Verwaltung enorm. Dies gilt auch speziell für die kantonalen Verwaltungen. Mit der Ausgliederung von öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten sind auch Probleme bei der Haftung verbunden.
Für den Bund regelt Art. 19 VG in diesen Fällen die Haftung. Primär haftet danach die Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung für den zugefügten Schaden, und zwar nach den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes (primäre Organisationshaftung).
Ist die Organisation nicht in der Lage, den Schaden zu decken, haftet der Bund für den Ausfall (subsidiäre Organisationshaftung des Bundes). Diese Haftung ist für den Bund mit erheblichen Risiken verbunden (zum Beispiel Skyguide, Schweizerische Aktiengesellschaft für zivile und militärische Flugsicherung). Die Voraussetzungen für die subsidiäre Haftung sind im Übrigen Konkurs, Nachlassstundung oder definitiver Verlustschein (analog zur einfachen Bürgschaft).
2.1 Öffentlich-rechtliche Körperschaften
Als Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung kommen öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Bundes in Frage. Als Beispiele können genannt werden: Nationalbank, SBB, Suva, ETH. Kriterium für die Zuteilung zu einer Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung ist die rechtliche Selbständigkeit.
In Frage kommen auch kantonale Organisationen. Solange die Kantone (oder Gemeinden) allerdings im Rahmen gesetzesmässiger Aufgabenerfüllung Bundesrecht vollziehen, kommt das kantonale Haftungsrecht zur Anwendung. Die kantonalen Fremdenpolizeibehörden und Strafvollzugsbeamten unterstehen dem kantonalen Haftungsrecht und nicht dem VG des Bundes. Hingegen haftete in einem konkreten Fall der Kanton Zürich nach Art. 19 VG für Schäden aus dem Betrieb des Flughafens. Der Kanton Zürich betrieb den Flughafen ausserhalb des ordentlichen Aufgabenbereichs, gestützt auf eine Konzession des Bundes.
Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung können auch privatrechtlich organisierte Körperschaften sein, Aktiengesellschaften, Vereine und Stiftungen. Darunter fallen zum Beispiel: SRG SSR Idée Suisse, Schweizerischer Nationalfonds, Skyguide, Pro Senectute. Werden natürliche Personen ausserhalb der Bundesverwaltung mitöffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut, dann kommt Art. 19 VG hingegen nicht zur Anwendung. Diese Personen fallen unter den Beamtenbegriff des VG, das heisst der Bund haftet ausschliesslich.[17]
2.2 Haftung für öffentlich-rechtliche Tätigkeit
Die Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung haften nach Art. 19 VG nur insoweit sie öffentlich-rechtliche Aufgaben des Bundes ausführen. Soweit sie privatrechtliche Aufgaben erfüllen, gilt Zivilrecht.
Die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Aufgaben ist in diesem Bereich daher sehr wichtig, oft allerdings nicht einfach. Die Organisation muss auch mit der öffentlich-rechtlichen Aufgabe betraut sein, das heisst die Aufgabe muss ihr durch Rechtssatz, Verfügung oder verwaltungsrechtlichem Vertrag verpflichtend übertragen worden sein. Diese Übertragung setzt eine formell-gesetzliche Grundlage voraus. Konzessionäre des Bundes fallen damit nur unter den Geltungsbereich von Art. 19 VG, wenn ihnen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten übertragen worden sind. Dies war zum Beispiel bei der Flugplatzkonzession der Fall.
Organisationen, die nur im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben erfüllen, ohne damit betraut worden zu sein, fallen nicht unter Art. 19 VG. In diesem Sinne trat das Bundesgericht auf die Klage gestützt auf Art. 19 VG gegen die Schweizerische Zentrale für Handelsförderung (heute Osec) nicht ein. Der Empfang von Bundesgeldern allein bedeutet noch keine Übertragung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Die übertragene Aufgabe muss eine öffentlich-rechtliche sein.
Das Bundesgericht erachtete zum Beispiel die Gepäckhinterlegung in einem Bahnhofschliessfach nicht als öffentlichrechtliche Aufgabe. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung neben öffentlich-rechtlichen Aufgaben selbst- verständlich auch private Aufgaben erfüllen. Diesbezüglich unterstehen sie der privatrechtlichen Haftung.[18]
2.3 Verfahren und Rechtsschutz
Nach Art. 19 VG hat die geschädigte Person den Schaden beim leitenden Organ anzumelden. Soweit der Anspruch nicht anerkannt wird, hat das leitende Organ eine Verfügung zu erlassen, analog zum Verfahren direkt gegen den Bund.
Die Lehre empfiehlt, eine Kopie der Forderungseingabe auch dem Eidgenössischen Finanzdepartement zuzustellen und die Organisation aufzufordern, für seine Verfügung die Zustimmung des Departements einzuholen.[19] Die Verfügung der Organisation unterliegt der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 31 VGG). Der Bund kann in das Verfahren mit einbezogen werden (Art. 57 VwVG und Art. 37 VGG). Bei einem Streitwert über 30000 Franken besteht Weiterzugsmöglichkeit an das Bundesgericht (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, Art. 82 BGG).
3 Staatshaftungder Kantone
3.1 Ausgangspunkt Art. 59 ZGB und Art. 61 OR
Gemäss Art. 59 ZGB bleibt das öffentliche Recht der Kantone für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften vorbehalten. In Übereinstimmung damit bestimmt Art. 61 Abs. 1 OR, dass der Bund oder die Kantone für die Haftung der Beamten für amtliche Verrichtungen abweichende Bestimmungen aufstellen können. Davon haben alle Kantone mit der Einführung von kantonalen Haftungsgesetzen Gebrauch gemacht, wobei häufig auf die Bestimmungen von Art. 41 ff. OR als ergänzendes kantonales Recht verwiesen wird.
Ohne Regelung haftet allein der Beamte nach Zivilrecht (Art. 61 Abs. 1 OR), eine Haftung des Kantons würde mangels gesetzlicher Regelung entfallen. Gewerbliche Verrichtungen von kantonalen Beamten (und auch des Gemeinwesens) können dagegen nicht durch kantonale Gesetze abweichend vom Obligationenrecht geregelt werden (Art. 61 Abs. 2 OR).[20]
3.2 Vielfalt der kantonalen Regelungen
Das kantonale Haftungsrecht ist ausgesprochen vielfältig, so dass vorliegend auf Einzelheiten nicht eingegangen werden kann.[21] Die Regelungen finden sich in kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzen, teilweise aber auch in den Personalgesetzen (zum Beispiel im Kanton Bern).
Vorab kann festgehalten werden, dass in materieller Hinsicht (Schaden, Widerrechtlichkeit, Kausalität und so weiter) keine wesentlichen Unterschiede zum Haftungsrecht des Bundes vorliegen. Die meisten Kantone kennen ebenfalls die kausale, primäre Staatshaftung. Es gibt allerdings auch Kantone, welche die Haftung auf Absicht und grobe Fahrlässigkeit beschränken.
In einem konkreten Haftungsfall gilt es vorerst immer, das kantonale Haftungsgesetz in materieller und formeller Hinsicht genauestens abzuklären und zu studieren, die Fallgruben sind vielfältig und gefährlich. Unterschiede, die zu beachten sind, bestehen insbesondere bei der Verjährung und der Verwirkung. Es gibt Kantone, welche die Verjährungsregeln des Obligationenrechts in das Staatshaftungsrecht übernommen haben. Andere Kantone kennen ein eigenes Verwirkungsrecht.
Grosse Unterschiede gibt es vor allem im Verfahrensrecht. Für die meisten Kantone gilt im Staatshaftungsrecht ein zivilrechtliches Verfahren mit Klageeinleitung beim zuständigen Zivilgericht. Andere Kantone sehen ein verwaltungsrechtliches Klageverfahren oder Beschwerdeverfahren vor, häufig noch mit einem Vorverfahren bei einer Verwaltungsbehörde.[22] Ein Weiterzug an das Bundesgericht ist mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten möglich (Art. 82 BGG), wobei zu beachten ist, dass es in der Regel um die Beurteilung von kantonalem Recht geht, auch wenn das kantonale Recht bei der Staatshaftung auf die Bestimmungen des Obligationenrechts verweist (Beschränkung der Überprüfung auf Willkür).
3.3 Haftung externer kantonaler Verwaltungsträger
Auch hinsichtlich der Haftung von externen Verwaltungsträgern finden sich bei den Kantonen verschiedene Regelungen, häufig aber auch überhaupt keine Bestimmungen.
Der Kanton Aargau zum Beispiel beschränkt die Staatshaftung allein auf Schädigungen durch Beamte und lässt die Ausweitung nicht einmal für öffentlich-rechtliche Betriebe ausserhalb der Zentralverwaltung zu (§ 4 Verantwortlichkeitsgesetz). Die Haftung richtet sich demgemäss nach Zivilrecht (Art. 61 OR). Dies gilt insbesondere auch für die privatisierten Spitäler, bei denen sich die Haftung grundsätzlich nach dem Privatrecht richtet (§ 12 Spitalgesetz). Der Kanton Bern kennt dagegen eine dem Bund analoge Regelung. Öffentliche und private Organisationen oder Personen, die unmittelbar mit kantonalen öffentlichen Aufgaben betraut sind, unterliegen der Staatshaftung (Art. 101 Personalgesetz). Dies gilt insbesondere auch für die privatisierten öffentlichen Spitäler.
Im Kanton Zürich ist die Regelung hinsichtlich Privater, die mit öffentlichen Aufgaben betraut sind, im Umbruch. Nach § 4 lit. a Haftungsgesetz findet das Gesetz auf Private keine Anwendung. Art. 46 Abs. 2 der neuen Kantonsverfassung bestimmt nun neu, dass auch Private, die öffentliche Aufgaben erfüllen, einer Kausalhaftung unterliegen. Zurzeit ist deshalb eine Abänderung von § 4 a Haftungsgesetz in Vorbereitung. Nach der vorgesehenen Bestimmung sollen nun auch Private kausal nach Haftungsgesetz haften. Das Verfahren richtet sich dagegen nicht nach dem Haftungsgesetz, sondern nach dem Zivilrecht. Der Staat haftet, analog zur Regelung in Bern, subsidiär für einen Ausfall.
[1] Zur Beamtenhaftung siehe Tobias Jaag, Staats- und Beamtenhaftung, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band I, Organisationsrecht, Basel 2006, S. 81.
[2] Siehe Max B. Berger, «Fallgruben im kantonalen Verantwortlichkeitsrecht», in: Walter Fellmann und Stephan Weber (Hg.), Haftpflichtprozess 2008, Zürich 2008, S. 163.
[3] Weitergehende Literatur, die im Text nicht separat zitiert wird: Jost Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, 2. Auflage, Bern 2001. Tobias Jaag, Staats- und Verwaltungsrecht des Kantons Zürich, 3. Auflage, Zürich 2005. Peter Jäger/Angela Schweiter, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Arzthaftpflicht- und Arztstrafrecht, 2. Auflage, Zürich 2006.
[4] Siehe weitere Beispiele bei Jaag 2006, S. 11.
[5] Siehe etwa BGE 129 II 353 und AJP 2004, S. 280 ff.: Schäden durch Impfungen.
[6] Siehe etwa ZR 98/1999 Nr. 2 + Nr. 3 (Übermässige Immission durch Drogenszene), Praxis 78/1989/Nr. 240 (Tierhalterhaftung), BGE 119 Ib 348, Praxis 83 (1994) Nr. 108 (Lärmimmission, Enteignung).
[7] Siehe etwa: ZR 75 (1976) Nr. 23 (Flughafen), BGE 2 A. 253/2002 (Rechtshilfe durch kantonalen Untersuchungsrichter), BGE 126 III 431 (SchKG).
[8] Siehe etwa: BGE 102 Ib 314 (Schliessfachfall), BGE 95 I 283 (Haftung aus Telefonverkehr), Moritz Kuhn, Die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit des Bundes, Dissertation, Zürich 1971, S. 66.
[15] BGE 93 I 67 (Entlassung eines Beamten), BGE 106 Ib 330 (Nutzungsbeschränkung).
[17] BGE 94 I 628 (Schweizerischer Elektrotechnischer Verein).
[19] Gerhard Schmid und Naoki D. Takei, «Haftung von externen Trägern öffentlicher Aufgaben» in: René Schaffhauser/ Urs Bertschinger/Tomas Poledna (Hg.) Haftung im Umfeld des wirtschaftenden Staates, St. Gallen 2003,
S. 115.
[21] Jaag 2006, S. 55 ff.; Hans Rudolf Schwarzenbach, Staatshaftungsrecht bei verfügungsfreiem Verwaltungshandeln, Bern 2006, S. 34 ff.; Berger 2008, S. 164 ff.