Das neue Bundesgerichtsurteil betrifft die Kündigung des langjährigen «Tages-Anzeiger»-Redaktors Daniel Suter (4A_415/2011). Er war zum Zeitpunkt der Kündigung Präsident der Personalkommission der Tamedia. Die Entlassung erfolgte während der Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Unternehmensführung nach der Massenentlassung von 2009.
Das Arbeitsgericht Zürich hatte die Klage von Suter gutgeheissen und ihm eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung von rund 30 000 Franken zugesprochen. Das Zürcher Obergericht entschied auf Berufung der Tamedia jedoch anders. Deshalb musste das Bundesgericht auf Beschwerde des Klägers definitiv entscheiden.
Es hält fest: Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis könne von jeder Partei unter Einhaltung von Fristen gekündigt werden. Die Kündigungsfreiheit finde ihre Grenzen im Missbrauchsverbot. Dazu zähle die Kündigung eines Arbeitnehmers, der als «gewählter Arbeitnehmervertreter im Unternehmen wirkt», falls «der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er einen begründeten Anlass zur Kündigung hatte» (Artikel 336 Absatz 2 b OR). Um die inhaltliche Definition eines solchen «begründeten Anlasses» drehte sich der Rechtsstreit.
Der Missbrauchsvorwurf entfällt, wenn für die Kündigung ein sachlicher Grund vorliegt. Was aber ist ein sachlicher Grund? Sind das nur Gründe, die der Arbeitnehmervertreter - etwa durch ungenügende berufliche Leistung oder unerträgliches Verhalten im Betrieb - selbst gesetzt hat? Das Bundesgericht verneinte dies vor fünf Jahren (BGE 133 III 512): Dem gewerkschaftlich delegierten Arbeitnehmer dürfe nicht nur aus selbstgesetzten subjektiven Gründen in der Person des Arbeitnehmervertreters, sondern auch aus «rein objektiven» Gründen gekündigt werden: «Da die Gesetzesbestimmung an das Motiv der Kündigung anknüpft, muss auch eine Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen zulässig sein, soweit kein Zusammenhang mit der Tätigkeit als Arbeitnehmer besteht.»
Das Obergericht Zürich hatte im Fall Suter argumentiert, die Tamedia sei «nicht verpflichtet gewesen, nur die sozialverträglichen Lösungen zu berücksichtigen». Das Bundesgericht stützte diese Ansicht. In seinem älteren Entscheid von 2007 hatte das oberste Gericht präzisiert: Ein «überschiessender» Schutz des Arbeitnehmervertreters könnte die übrigen Arbeitnehmer benachteiligen, da der Arbeitgeber nicht mehr die «sozialverträglichsten» Massnahmen treffen könnte. Dieser Gedanken trägt aber dem Zweck des Schutzartikels 336 Abs. 2 b OR keine Rechnung. Denn er will die schwächere Partei eines Arbeitskonfliktes in der Person ihrer Vertreter besser schützen. Dafür hatte das Bundesgericht kein Gehör.
Es lehnte einen weiteren Einwand von Suters Anwalt ab: Für die Auslegung des «begründeten Anlasses» zur Kündigung sei analog auch Art. 340 Abs. 2 OR heranzuziehen. Dort geht es um das Konkurrenzverbot eines Arbeitnehmers. Dieses fällt dahin, wenn der Arbeitgeber kündigt, ohne dass ihm der «Arbeitnehmer dazu begründeten Anlass gegeben hat». Ein «begründeter Anlass» ist von Lehre und Rechtsprechung unbestritten nur ein vom Arbeitnehmer zu verantwortender Grund. Das Bundesgericht sagt dazu kurz, weder in der Botschaft des Bundesrates noch in den Räten sei diskutiert worden, ob auch wirtschaftliche Gründe einen «begründeten Anlass» schaffen könnten.
Das Bundesgericht betont, der Zweck von Art. 336 Abs. 2 b OR sei nur gewesen, «den Arbeitnehmer vor einer Entlassung zu schützen, welche in einem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der Personalkommission steht». Um die Missbrauchsvermutung umzustossen, müsse der Arbeitgeber die Umstrukturierung nicht zunächst zulasten anderer Arbeitnehmer vornehmen.
Bundesgericht übersieht Lehrmeinungen
Das Bundesgericht gibt den Ball abschliessend weiter: Der Bundesrat müsse die Frage mit einer Gesetzesänderung klären. Nach heutiger Gesetzeslage verbiete sich eine «solcherart bevorzugende Behandlung der Arbeitnehmervertreter». Dabei übersieht es, dass es durchaus einige Lehrmeinungen gibt, die einen «personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund» voraussetzen wollen und wirtschaftliche Gründe nicht oder nicht ohne weiteres als «begründeten Anlass» bezeichnen. So etwa Manfred Rehbinder im Basler Kommentar oder die Autoren Brunner, Bühler, Waeber und Bruchet in ihrem Kommentar zum Arbeitsrecht.
Das Arbeitsgericht Zürich hatte diese Lehrmeinungen aufgenommen. Es argumentierte: «Wenn mitten in einem laufenden Verhandlungsverfahren um einen Sozialplan rein objektive Gründe für eine Kündigung von Arbeitnehmervertretern zugelassen werden, wird die Schutzbestimmung OR 336 2 b ihrer Bedeutung beraubt» (AN091060/U1 vom 13.7.2010). Die Arbeitnehmervertretung müsse «ohne Angst um ihren Arbeitsplatz auf Augenhöhe mit der Unternehmensvertretung verhandeln können». Habe ein gewählter Arbeitnehmervertreter «mitten im Konsultations- oder Sozialplanverfahren gerade bei Massenentlassungen» eine Kündigung zu erdulden, so könne er kaum mehr gelassen die Arbeitnehmerinteressen verfechten.
Unter Güterabwägung hat das Arbeitsgericht vorgeschlagen: Objektive Gründe wie wirtschaftliche Schwierigkeiten seien als begründeter Anlass für die Kündigung von Arbeitnehmervertretern nur beschränkt zuzulassen. Nämlich nur dann, wenn keine Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung laufen.
«Begründeter Anlass» soll klarer definiert werden
Der Bundesrat hat kürzlich einen Vorentwurf zur Teilrevision des Obligationenrechts in die Vernehmlassung geschickt. Damit soll Artikel 336 Absatz 2 geändert werden (siehe Kasten). In der Begründung fällt auf, dass der Bundesrat den «begründeten Anlass» der Kündigung eines Arbeitnehmervertreters ähnlich definiert wie das Arbeitsgericht Zürich. Der Anlass müsse in der Person des Angestellten liegen. Weiter heisst es im Bericht: Es stelle sich die Frage, ob die Art und Weise, wie das Bundesgericht den «begründeten Anlass» objektiv, also auch mit der wirtschaftlichen Lage, definiere, diesem Begriff nicht «einen Grossteil seiner Wirkung entzogen hat». Wenn schon der in der Person des Arbeitnehmers liegende Grund «eine gewisse Qualität» haben müsse, sollte nicht jeder wirtschaftliche Grund zur Kündigung berechtigen. Die «wirtschaftlich sinnvollste und sozial verträglichste Massnahme des Arbeitgebers» in wirtschaftlichen Drucksituationen dürfe nicht dazu führen, dass der «erweiterte, vom Gesetzgeber gewollte Kündigungsschutz der Arbeitnehmervertreter auf der Strecke bleibt».
Vorschlag des Bundesrats zur Verbesserung des Kündigungsschutzes für die gewählten Arbeitnehmervertreter:
Artikel 336 Absatz 2 OR
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ist im weiteren missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird: b. während der Arbeitnehmer gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder in einer dem Unternehmen angeschlossenen Einrichtung ist, und der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er einen begründeten, in der Person des Arbeitnehmers liegenden Anlass zur Kündigung hatte.