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Plädoyer 2/08

03.04.2008

Von den kürzlich gefällten Urteilen hat das Bundesgericht unter anderem folgende Entscheide zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung (BGE) vorgesehen:

Staats- und Verwaltungsrecht

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Von den kürzlich gefällten Urteilen hat das Bundesgericht unter anderem folgende Entscheide zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung (BGE) vorgesehen:

Staats- und Verwaltungsrecht

Ein türkischer Familienvater darf nach seiner Ausweisung wegen angeblicher Zwangsverheiratung seiner Tochter in die Schweiz zurückkehren. Laut Bundesgericht besteht bei einer arangierten, aber nicht erzwungenen Ehe kein Ausweisungsgrund. Trotz in hohem Masse traditionellen Anschauungen seines Kulturkreises kann aufgrund der konkreten Umstände nicht gesagt werden, dass der Vater die psychische Gesundheit seiner Tochter in Missachtung der hiesigen Werte gefährdet hätte. Eine integrationsunwillige Haltung ist kein Grund für die Ausweisung und den Widerruf der einmal erteilten Niederlassungsbewilligung.
(2C_536/2007 vom 25. Februar 2008)

Ein nach dem Zürcher Gewaltschutzgesetz angeordnetes Kontakt- und Rayonverbot wegen häuslicher Gewalt fällt nicht unter den Begriff des Freiheitsentzuges (Art. 5 EMRK oder Art. 31 BV) oder der strafrechtlichen Anklage (Art. 6 EMRK oder Art. 32 BV), womit sich Betroffene nicht auf die entsprechenden Verfahrensgarantien berufen können.
(1C_407/2007 vom 31. Januar 2008)

Beschwerden gegen Entscheide der UBI können gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG nur von Personen angefochten werden, die stärker als jedermann betroffen sind und in einer besonderen, beachtenswert nahen Stellung zur Streitsache stehen. Der Verein gegen Tierfabriken ist nicht legitimiert, einen Entscheid der UBI zu einem Beitrag der Fernsehsendung «10 vor 10» über Tierhaltung anzufechten.
(2C_4/2008 vom 21. Februar 2008)

Das Tragen des Kopftuches darf für sich alleine kein Grund sein, um der betroffenen Frau oder ihren Angehörigen die Einbürgerung zu verweigern (Verletzung des Diskriminierungsverbots Art. 8 Abs. 2 BV). Das Kopftuch als religiöses Symbol bringt keine Haltung mangelnden Respekts vor dem in Art. 8 Abs. 3 der BV verankerten Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter zum Ausdruck.
(1D_11/2007 und 1D_12/2007 vom 27. Februar 2008)

Das Bundesgericht hat einem Hausbesitzer in Opfikon beim Flughafen Zürich in einem Pilotentscheid 150000 Franken Entschädigung für die lärmbedingte Entwertung seiner Liegenschaft zugesprochen. Die Flughafenhalter trifft die Entschädigungspflicht aus Verletzung des nachbarschaftlichen Rechts auf Lärmabwehr. Die Entschädigung ist als Kapitalleistung auszuzahlen. Ein schwerer und damit ersatzpflichtiger Schaden kann bei einem Minderwert der Liegenschaft von 10 Prozent nicht mit Verweis auf das Schätzungsermessen verneint werden. Das Schätzungsmodell MIFLU darf für die Minderwertbestimmung angewendet werden.
(1E.15/2007 vom 8. Februar 2008)

Trotz der Kritik von Menschenrechtsorganisationen hält das Bundesgericht an seiner Praxis fest, dass Personen auch an Länder mit problematischer Menschenrechtslage ausgeliefert werden können (hier Russland). Erforderlich ist, dass das Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung mittels diplomatischer Zusicherungen auf ein bloss noch theoretisches Mass gesenkt werden kann. Die von Russland abgegebenen Zusicherung sind bisher immer eingehalten worden.
(1C_205/2007 vom 18. Dezember 2007)

Zivilrecht

Verdient eine Frau nach der Scheidung durch eigene Erwerbstätigkeit genug, um sich den während der Ehe geführten Lebensstandart zu finanzieren, hat sie keinen Anspruch auf Unterhalt. Der Berechnungsmodus der hälftigen Überschussteilung besteht nur während der Ehe (Art. 159 und 163 ZGB). Würde er auch nach der Scheidung angewendet, würden die früheren Ehegatten in finanzieller Hinsicht lebenslang gleichgestellt bleiben, worauf Art. 125 ZGB keinen Anspruch gibt.
(5A_513/2007 vom 18. Dezember 2007)

Die mietrechtlichen Missbrauchsbestimmungen von Art. 269 ff OR können auch von Mitgliedern einer Wohngenossenschaft angerufen werden. Sie müssen sich nicht damit begnügen, eine Anpassung des überhöhten Mietzinses an der Generalversammlung durchzusetzen.
(4A_421/2007 vom 28. Januar 2008)

Eine Genugtuung kann auch in Form einer Rentenzahlung zugesprochen werden. Das darf allerdings keinen Einfluss auf die Höhe der Gesamtsumme haben. Die kapitalisierten Rentenbeträge müssen der nach den üblichen Bemessungskriterien festgelegten Kapitalleistung entsprechen.
(4A_373/2007 vom 8. Januar 2008)

Die Verwertungsgesellschaft Pro Litteris muss Schuldner von Urheberrechtsgebühren an ihrem Wohnsitz einklagen. Die Nichtzahlung geschuldeter Vergütungen kann nicht als unerlaubte Handlung gelten, die einen Gerichtsstand am Sitz von Pro Litteris begründen würde.
(4A_522/2007 vom 15. Februar 2008)

Grundeigentümer in der Nähe von nationalen Flughäfen können nicht gestützt auf die nachbarschaftlichen Abwehrrechte verlangen, dass ihr Boden nur in einer gewissen Mindesthöhe überflogen wird. An die Stelle der Abwehrrechte treten Ansprüche aus Enteignung.
(5C. 144/2006 vom 18. Dezember 2007)

Der Kündigung in der Probezeit darf etwas «Willkürliches» anhaften. Sie kann aber grundsätzlich auch missbräuchlich (Art. 336 OR) sein, wenn das Verhalten des Arbeitgebers im Widerspruch zum erweckten Vertrauen steht und keinen Rechtsschutz verdient. Ein Arzt war zu 80 Prozent angestellt und noch in der Probezeit aufgefordert worden, das Pensum auf 100 Prozent zu erhöhen. Als er dies nicht konnte, wurde er entlassen. Ihm wurden 20000 Franken Entschädigung zugesprochen.
(4A_385/2007 vom 28. November 2008)

Art. 30 BV verlangt zur Ausübung des Richteramts kein Jura-Studium. Der Laienrichter muss ausreichende sachliche und fachliche Kenntnisse haben, um seinen Willen unabhängig bilden und das Recht richtig anwenden zu können. Der Anspruch auf einen unabhängigen Richter oder auf einen fairen Prozess kann verletzt sein, wenn der unerfahrene Laienrichter ohne die Möglichkeit der Mithilfe eines Juristen seines Amtes walten muss.
(5A_369/2007 vom 15. November 2007)

Strafrecht

Die Organisatorin eines Feuerlaufs (vier Meter barfuss über glühende Kohlen) kann für die Fussverbrennungen einer Teilnehmerin nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 StGB) oder Unterlassung der Nothilfe (Art. 128 StGB) verurteilt werden. Eine «Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung» muss grundsätzlich straflos bleiben. Die Grenze liegt dort, wo der Veranlasser das Risiko kraft überlegenen Fachwissens besser erfasst und das Opfer das mögliche Risiko nicht überblickt.
(6S.91/2007 vom 17. Januar 2008)

Sozialversicherungsrecht

Wer beim Zusammenstoss zweier Putschautos mit dem Kopf auf das Lenkrad aufschlägt und sich dabei die Zähne verletzt, erleidet versicherungsrechtlich einen Unfall. Änderung der Rechtsprechung.
(K136/06 vom 18. Januar 2008)

In Art. 22 UVG wurde die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 64 Jahre aus einem offensichtlichen Versehen des Gesetzgebers nicht angepasst (keine Revision der Rente mehr möglich ab Vollendung des 62. Altersjahres bei Frauen). Richterliches Eingreifen ist damit geboten.
( U 35/07 vom 28. Januar 2008)

HIV-Patienten müssen die Kosten für das Mittel «New Fill» zur kosmetischen Behandlung einer tritherapie-bedingten Entstellung des Gesichts selber übernehmen. Das Mittel ist nicht als kassenpflichtiges Medikament in der Spezialitätenliste oder in einer der beiden massgebenden bundesrätlichen Verordnungen aufgeführt.
(K 147/06 vom 9. Januar 2008)

Mündige Kinder können sich die einem Elternteil zugesprochene Invaliden-Kinderrente nicht direkt auszahlen lassen, da dies im Gesetz nicht vorgesehen ist.
(9C_272/2007 vom 27. Dezember 2007)
(PJ)

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