Zwei Urteile des Bundesgerichts aus dem letzten Jahr liessen den Schluss zu, dass Anwälte künftig einen Kostenvorschuss erheben müssen, wenn sie verhindern wollen, dass sie später Honorarforderungen gegenüber Klienten nicht mehr durchsetzen können (plädoyer 6/16). Das Bundesgericht verlangte, dass Anwälte im Entbindungsverfahren darlegen, weshalb sie auf einen Vorschuss verzichteten. 

Mit Urteil 2C_746/2016 vom 6. Januar 2017 relativierte das Bundesgericht diese Entscheide: Es anerkannte grundsätzlich das schutzwürdige Interesse der Anwälte an der Entbindung vom Berufsgeheimnis zwecks Eintreibung offener Honorarforderungen. Die Bundesrichter hielten aber nach wie vor fest, beim Entscheid über die Befreiung vom Anwaltsgeheimnis sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung könnten die Umstände, die es dem Anwalt eventuell verunmöglichen, einen Kostenvorschuss zu erheben, ebenfalls Berücksichtigung finden. Wichtig aber: Die konkreten Umstände, die den Anwalt nach Übernahme des Mandats auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichten liessen, seien nicht dazu geeignet, das Interesse an einer Befreiung von der Geheimhaltungspflicht zu verringern.

Mit dem neuen Entscheid versäumt das Bundesgericht die Klarstellung, ob ein Anwalt frei entscheiden kann, ob er vom Klienten einen Vorschuss verlangen will oder nicht. Es legt aber fest, dass die blosse Nichterhebung eines Kostenvorschusses – obwohl ein solcher möglich gewesen wäre – nur als ein Umstand in der Interessenabwägung anzusehen ist, der normalerweise die Entbindung nicht ausschliesst. Im konkreten Fall hatte der Anwalt eingeräumt, «wegen Arbeitsüberlastung und entsprechender Prioritätensetzung» seinem Klienten vorerst keine Rechnung für einen Vorschuss gestellt zu haben. Die Vorinstanz hatte die Entbindung verfügt und ausdrücklich offengelassen, ob dem Anwalt im Zusammenhang mit der Erhebung von Vorschüssen überhaupt ein Versäumnis vorzuwerfen war.