Otto von Bismarck, Kanzler des Deutschen Reiches, soll einst gesagt haben: «Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.» Der Entstehungsprozess von Gesetzen mag also unappetitlich sein, am Schluss sollte wenigstens ein gutes Produkt herauskommen. Das würden viele Professoren, Richter und Anwälte zurzeit allerdings wohl verneinen. Die Kritik an den Gesetzesvorlagen aus der Bundesverwaltung wird immer lauter.
Neben den Revisionen im Familienrecht steht zurzeit auch die Vorlage zum Erbrecht in der Kritik. Viele Fragen seien im Entwurf zur Revision des Erbrechts zu wenig durchdacht worden. So die Kritik der Zivilrechtler Thomas Sutter-Somm und Alexandra Jungo in einem plädoyer-Streitgespräch (plädoyer 3/16). Ziel der Revision müsse eine saubere Gesetzgebung sein, betont Sutter-Somm. «Der vorliegende Entwurf schafft das nicht.» Das Erbrecht werde zwar revidiert. Aber man habe danach mehr Fragen als zuvor.
Erbrecht: Nicht wie ein Tagesgeschäft abhandeln
Jungo wie Sutter-Somm fordern die Einsetzung einer Expertenkommission, um die offenen Fragen zu benennen, Lösungen zu diskutieren und sie dann sorgfältig als Gesetz zu formulieren. Jungo: «Ich plädiere dafür, dass man eine Expertenkommission mit Personen aus Praxis und Lehre zusammenstellt.» Sutter-Somm vermisst schon ein Inventar der revisionsbedürftigen Punkte als Basis für die Revision. Sutter-Somm will dem Bundesamt für Justiz keinen Vorwurf machen. Er findet aber: «Die politisch Verantwortlichen des Departements sollten darauf achten, dass die Revision des Erbrechts kein Tagesgeschäft ist und Zeit braucht.»
Auch Erbrechtsspezialist Paul Eitel äusserte sich kritisch: «Ich bin von der Revision nicht begeistert.» Der Vorentwurf und der Bericht dazu seien nicht «mit der Hingabe und dem Herzblut gemacht worden, wie es eigentlich der Fall sein sollte» (plädoyer 5/16). Punkto Rechtspolitik könne man unterschiedlicher Meinung sein. Aber punkto Gesetzgebungstechnik fordert er: «Ich finde, es sollte möglich sein, jede – das heisst auch eine schlechte – rechtspolitische Weichenstellung zumindest redaktionell brauchbar umzusetzen.»
Familienrecht: Zu viele Mini-Revisionen
Ähnlich lauten die Kritiken in Bezug auf das Familienrecht. So regt sich die Privatrechtsprofessorin Andrea Büchler über die permanenten Revisionen im Familienrecht auf. Sie spricht von einer «grossen Baustelle». Das Familienrecht brauche eine gesamthafte Reform. Die vielen kleinen Revisionen seien gefährlich, damit entstehe ein Puzzle, bei dem nicht mehr alle Teile zusammenpassten.
Auch die Revision des seit Anfang Jahr geltenden neuen Kinderunterhaltsrechts ist für die Juristin «gesetzgeberisch ungenügend». Beim Betreuungsunterhalt sei nichts gründlich geregelt worden (plädoyer 2/17). Büchler sieht das Problem ebenfalls beim Gesetzgebungsprozess: «Heute setzt man keine Expertenkommissionen mehr ein, die eine Revision vorbereiten. Heute kommen die Entwürfe aus der Bundesverwaltung. Ab einer gewissen Komplexität lohnt es sich aber, Experten zusammenarbeiten zu lassen.»
Politik verlangt rasche Umsetzung
plädoyer konfrontierte das Bundesamt für Justiz mit der Kritik aus der Wissenschaft. David Rüetschi, Chef Fachbereich Zivilrecht und Zivilprozessrecht, sagt dazu: «Heute müssen Revisionen sehr schnell und zum Teil nach sehr konkreten Vorgaben gemacht werden.» Früher sei man im Gegensatz zu heute gleichzeitig mit einem oder zwei laufenden Gesetzgebungsprojekten beschäftigt gewesen. Heute ändere man in vielen Gesetzen auch schnell mal Einzelabschnitte und Einzelfragen.
Beim Unterhaltsrecht ging das Bundesamt laut Rüetschi nicht nach dem typischen Gesetzgebungsprozedere vor. «Die Vorlage wurde auf einmal mit dem Sorgerecht verknüpft.» Die Sorgerechtsrevision wurde als Männervorlage wahrgenommen, das Unterhaltsrecht sollte als Frauenvorlage daherkommen. «Erstens musste etwas kommen, zweitens möglichst schnell und dann auch noch möglichst gleichzeitig.» Rüetschi will die Kritik, die Wissenschaft sei zu wenig einbezogen worden, nicht gelten lassen: «Wir führten im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten diverse Einzelgespräche mit Spezialistinnen und Spezialisten aus der Wissenschaft und der Praxis.» Wolle man jedoch mit zehn wichtigen Leuten eine gemeinsame Sitzung vereinbaren, «dann finden wir erst im nächsten Jahr einen Termin, der allen passt». Was sagt er zur Kritik, dass das Gesetz wenig Konkretes enthält? «Wir mussten aus politischen Gründen irgendwann einfach raus damit.» Die Politik habe Druck gemacht.
Dieser Druck von Seiten der Politik ist aufmerksamen Wissenschaftern nicht entgangen: «Der konkret vorgelegte Vorentwurf ist insgesamt wie dargelegt in vielerlei Hinsicht sowohl theoretisch als auch praktisch untauglich», so die vernichtende Kritik von Stephan Wolf, Stephanie Hrubesch-Millauer, Regina Aebi-Müller und Sibylle Hofer in ihrer Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren zum Kinderunterhalt.
Ihre Kritik richtet sich ausdrücklich an die Politiker: «Die Kritik gilt nicht den mit der Ausarbeitung dieses Vorentwurfs befassten Juristinnen und Juristen, sondern vielmehr den verantwortlichen politischen Entscheidungsträgern.» Die politisch Verantwortlichen würden offensichtlich die Anforderungen an eine gute, in der Praxis umsetzbare und sichere Gesetzgebung unterschätzen.
David Rüetschi relativiert diese Aussagen: «Man vergisst in dieser Diskussion häufig, dass das rechtspolitische Ziel der Revision – die Besserstellung der Kinder unverheirateter Eltern – weitgehend erreicht wurde. Viele alleinerziehenden Mütter müssten nun nicht mehr zur Sozialhilfe. Trotzdem bedauert Rüetschi, dass gerade das Unterhaltsrecht – «ein so zentrales und wichtiges Dossier» – so hart kritisiert wird. «Es ist schade, dass eine so grosse Unzufriedenheit herrscht. Aber die äusseren Umstände waren hier wirklich sehr aussergewöhnlich – vor allem der nichtverhandelbare Zeitdruck von allen Seiten.»
“Verfassung verlangt Spielraum für die Kantone”
plädoyer: Professoren kritisieren die Verwaltung, weil sie bei der Erarbeitung von Revisionen keine Expertenkommission mehr einsetzt. Was spricht gegen solche Kommissionen?
Luzius Mader: Es ist nicht so, dass keine Expertenkommissionen mehr eingesetzt werden. Aber solche Kommissionen sind nur eine der möglichen Formen des – nötigen – Einbezugs von Experten. Es gilt, die für ein konkretes Gesetzgebungsvorhaben optimale Form zu wählen. Die früher oft eingesetzten grossen Expertenkommissionen brauchten häufig sehr viel Zeit. Ihre Ergebnisse waren nicht immer und in jeder Hinsicht über alle Zweifel erhaben. Zudem sind viele Mitglieder von Expertenkommissionen in erster Linie Interessenvertreter. Das kritisierte Hans Tschäni schon Anfang der Achtzigerjahre in seinem Buch «Wer regiert die Schweiz». Diese Kommissionen sind also auch ein Einfallstor der organisierten Interessen in einer frühen Phase der Gesetzgebungsarbeit.
Wie kann sich die Wissenschaft rechtzeitig einbringen?
Mader: Die Verwaltung legt grossen Wert auf die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. In den meisten Bereichen bestehen enge Kontakte und es gibt einen regelmässigen Austausch zum Beispiel an wissenschaftlichen Tagungen oder im Rahmen von Fachvereinigungen. Die Wissenschaft kann sich aber auch im Vernehmlassungsverfahren Gehör verschaffen. Davon wird leider zu wenig Gebrauch gemacht. Kritik wird häufig erst geäussert, wenn das Gesetz bereits in Kraft getreten ist. Das macht sie natürlich nicht glaubwürdiger oder hilfreicher.
Beim Kinderunterhalt wird kritisiert, das Gesetz gebe auf konkrete Fragen keine klaren Antworten. Einverstanden?
Mader: Nein, denn die Vorstellung, Gesetze müssten stets absolut klare Antworten auf konkrete Fragen geben, ist falsch. Gesetze müssen den Vollzugsbehörden und den Gerichten auch Gestaltungsfreiheit und Ermessensspielräume belassen. Deshalb sind Lernphasen nach dem Inkrafttreten völlig normal. Die Herausbildung harmonisierter Praktiken braucht etwas Zeit. Das ist der Preis, den wir für unsere offene Form der Legiferierung zahlen.
Damit sinkt aber die Rechtssicherheit. Nehmen Sie dies in Kauf?
Mader: Sehr detaillierte Regelungen schaffen nicht unbedingt mehr Rechtssicherheit. Vor allem aber sind Unterschiede im kantonalen Vollzug unserem föderalistischen System inhärent. Artikel 46 der Bundesverfassung verlangt, den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit zu belassen.